Der Titel "Himmelrundfahrt" ist so zu verstehen, dass ich als Malerin den Blick des Betrachters über die Farbe durch den Bildraum lenke. Ich nehme ihn mit auf eine visuelle Reise.
Das Bild öffnet sich nach links, wohingegen es nach rechts durch die Betonung der vertikalen im dunkleren Bereich geschlossen ist. Im Ganzen entsteht eine Bewegung von Hell nach Dunkel. Im unteren Bereich wie auch an anderen Stellen des Bildes bleibt die Leinwand offen stehen. Für den Blick des Betrachters bildet das einen Eingang und erinnert immer wieder an den Entstehungsprozess des Bildes. So wird sichtbar das dies keine Illusion eines Himmels oder einer Rundfahrt ist, sondern dass mittels Ölfarbe der Bildraum in verschiedenen Schichten aufgebaut ist.
Im Zentrum stehen die beiden rechteckigen Formen das gelb und das violett als zentrales Farbenpaar. Sie steigern sich gegenseitig in ihrer Leuchtkraft und sind auch von hell nach dunkel moduliert. Noch ein weiterer Komplementärkontrast, orange und blau befindet sich im Bild. Als tragendes Element, liegen sie dahinter, sind aber im gesamten Bild sichtbar. Dabei liegt das blau und orange manchmal als ungemischte Farbe unter den gemischten, wie in der linken unteren Ecke das blau und erscheint räumlich gesehen tiefer liegend. Durch die Wiederholung rechts neben dem violetten Rechteck wird es wieder an die Oberfläche zurückgeholt.
Über die Anordnung der Farben wird der Blick des Betrachters also nicht nur von links unten nach rechts zur dunkleren Gruppierung der Farben, weiter zum helleren Bereich nach oben rechts und wieder zum Zentrum gelenkt sondern auch von der Oberfläche der äußeren Farbschichten in die Tiefe und die dritte Dimension. Dies geschieht allein über die Farbe und nicht über Linie oder Perspektive.
Durch die Wahl der Farben, den Hell-Dunkel; Warm-Kalt und Komplementärkontrast entsteht der Eindruck eines Dramas und einer Steigerung, ähnlich einem Theaterstück. Die Betonung der Materialität, die Sinnlichkeit der Farben und der auffallende Pinselduktus, bildet einen Gegenpol zur Anordnung parallel zum Keilrahmen und den rechteckigen Formen. Es entsteht der Eindruck eines dynamischen Bildganzen in dem die Farben immer wieder neue Verbindungen miteinander eingehen.
Meine Form der Malerei schliesst direkt an die Tradition der Farbmalerei an, die seit Cézanne, über Mondrian, Albers, Hofmann, die Abstrakten Expressionisten, Ryman …( um nur einige Beispiele zu nennen), bis in die heutige Zeit reicht und entsprechend der eigenen Kultur und den momentanen Bedürfnissen neu entdeckt und weiterentwickelt werden muss. In unserer heutigen Zeit muss ein Bild schneller funktionieren, die Bilderflut ist gross und die Zeit mit der wir wirklich hinsehen begrenzt. Ein Bild muss auf den ersten Blick wirken ohne an Tiefe zu verlieren, sodass es an jedem Tag vom Betrachter wieder neu entdeckt werden kann. Im wechselnden Licht werden andere Elemente sichtbar die vorher nicht zu sehen waren.
Farbe berühert den Betrachter direkt und unmittelbar. Sie holt ihn in das Hier und Jetzt zurück. Aber ohne Ordnung wird Farbe schnell dekorativ, kitschig oder sentimental. Wenn ich Farbe ausschliesse habe ich keine Probleme, aber wenn ich schon eine Farbe neben eine andere setze entsteht ein Konflikt oder auch ein Dialog, oder vielleicht Harmonie. Farbmalerei ist eine universale Sprache, die auf der ganzen Welt gelesen werden kann und visuell erfahrbar ist, wie ich bei meinen Aufenthalten in USA, China und Australien festgestellt habe. In meiner Arbeit bin ich mit jedem neuen Bild auf der Suche nach neuen Wegen um diese Tradition weiter zu entwickeln. Trotz der Flut an digitalen Bildern, Reklame, Fernsehen und Video ist diese Form der Malerei für mich immer die grundlegende Ausdrucksform, die die menschlichen Sinne direkt und umfassend anspricht.
Ingrid Floss, München, 2014
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