Künstlergespräch zwischen Sabine Möhle (Allianz Kunstsammlung) |
Erster Eindruck: IF: Ja, das ist auf jeden Fall ein Einfluss. Aber meine Malerei ist ebenso beeinflusst von den Abstrakten Expressionisten wie Joan Mitchell oder Willem de Kooning, von Malerinnen und Malern der New York School der ersten und zweiten Generation und deren Vorläufer wie Hans Hofmann. Der Ursprung der Farbmalerei liegt eigentlich in Europa, vor allem in Süddeutschland und Frankreich. Man denke zum Beispiel an den Blauen Reiter, Paul Cézanne oder Piet Mondrian. Der Begriff Farbmalerei ist mir lieber, weil er weiter gefasst ist. Er beinhaltet wie beim Color Field Painting, dass die Farbe das wichtigste kompositorische Element ist und nicht die Linie. Entstehungsprozess: SM: Wenn Sie vor einer leeren Leinwand stehen, haben Sie eine Vorstellung, einen Plan, was entstehen soll? IF: Meist versuche ich, genau das nicht zu haben. Ich fange einfach an, Farben zu setzen. Am Anfang ist alles offen, dann kommt der Moment wo die Entscheidungen immer genauer werden müssen, weil die Grundkomposition da ist. Jetzt kommt es darauf an, dass das Bild zu einem Ganzen wird. Das Bild, die Komposition, der Farbklang und die Räumlichkeit entstehen während des Malprozesses. SM: Ihre Bilder sind sehr komplex angelegt, sie wirken manchmal fast hermetisch und erschließen sich oft erst nach und nach bei genauerem Hinsehen. Bilder, die einen Betrachter mit höchst behutsamer Wahrnehmung benötigen. Ist es eigentlich erstrebenswert, dass ein Bild für die Betrachtenden schwer zugänglich ist? IF: Im Prinzip schon, denn nur dann hat der Betrachter einen Zugewinn, eine wirkliche Erfahrung. Er kann eintauchen in eine andere Welt, heraus aus einer ihm und seiner Wahrnehmung bekannten Bildsprache. Wenn es leicht geht, heißt das eigentlich, dass mir das, was ich sehe schon bekannt ist. Wenn ich anfange, Fragen zu stellen und in einen Sehprozess involviert werde, dann dauert das schon eine Zeitlang und ist mit Anstrengung verbunden. Ich bin auf der Suche nach einer neuen Bildsprache, aber das Neue kann nicht entstehen, wenn nicht an etwas Altes angeknüpft wird. Ein Blick in die Kunstgeschichte zeigt, dass die meisten Maler mit sperrigen, überladenen, zu bunten Bildern angefangen haben. Sie mussten aus der Fülle schöpfen, um am Ende ihres Lebens vielleicht zu einer Einfachheit und einer nur ihnen eigenen Sprache zu finden. Ich denke da zum Beispiel an Matisse, Cézanne und Velàzquez. In meiner Arbeit sind das schon lange zwei Gegenpole. Manchmal entsteht ein Bild, das ganz einfach und leicht wirkt. Und dann wieder eines, das komplex und lange bearbeitet ist. Beide sind mir lieb, sie sind wie Tag und Nacht oder zwei Seiten einer Münze und befruchten sich gegenseitig. SM: Tatsächlich bergen die meisten Ihrer Bilder eine Menge Details. Wie gehen Sie mit der Spannung zwischen der Fülle der Details und dem Ganzen um? IF: Die Details bringen nichts, wenn sie nicht am Ende ein Bildganzes ergeben und das geschieht durch die Räumlichkeit, dadurch dass alle Elemente in Einheit, Ruhe und Harmonie gebracht werden. Aber die Harmonie ist keine Langeweile. Der Malprozess ist sichtbar. Ich habe nicht eine Lösung, die ich dann über das ganze Bild lege. Bei jedem Bild muss ich wieder neue Lösungen finden. Ich will nichts überdecken, zudecken oder voll füllen, sondern offenlegen und sichtbar machen. Indem ich so frei beginne wie vorhin beschrieben, bin ich selbst bei jedem Bild neugierig, gefordert und involviert, das sind auch oft sehr anstrengende Prozesse. Am Ende steckt das ja alles noch in den Bildern drin und erschließt sich im genauen Beobachten. Sodass auch das Bild niemals langweilig wird und immer wieder neu gesehen werden kann. An jedem Tag, wenn Sie hier zum Mittagessen gehen, können sie wieder etwas Neues entdecken, was Ihnen zuvor nicht aufgefallen ist. Deshalb freue ich mich auch besonders über den Ort an dem meine Arbeit hängt, bei Ihnen im Mitarbeiterrestaurant. Sie können immer wieder schauen oder einfach vorbeigehen und das Bild aus dem Augenwinkel betrachten. Mit jedem Tag und mit unterschiedlichem Lichteinfall eröffnen sich wieder neue Blickwinkel. SM: Der Malprozess als Dialog – kann es sein, dass das Bild etwas mit Ihnen macht, was Sie nicht wollen? IF: Das wäre ja gut, wenn etwas entsteht was mir fremd ist, wenn ich nicht sicher bin. SM: Sie beschreiben die Farben in Ihrer Malerei als Stellvertreter für Gedanken, die Ihnen durch den Kopf gehen. Können Sie uns dieses Empfinden näher erläutern? IF: Wenn ich meine Bilder betrachte, denke ich in Farben und Farbklängen. Wenn ich eine Kleinigkeit ändere, ändert sich sofort das ganze Bild. Das braucht Vorstellungskraft und Beweglichkeit. Ich kann mir also vorstellen was passiert, wenn ich irgendwo im Bild eine andere Farbe setze. Wenn ich die Farbe gesetzt habe, ändert sich auch die weitere Entwicklung des Bildes und ich muss wieder neu denken. Das ist ein intensiver Vorgang, der wechselseitig zwischen Augen, Gehirn und Hand stattfindet. Das ist die eine Seite. Die andere Seite hängt mit den Empfindungen zusammen, zunächst mit meinen eigenen und denen, die das Bild auslöst. Also wie ich am jeweiligen Tag gestimmt bin, was mich beschäftigt, auch außerhalb der Malerei. Farben stimulieren bestimmte Emotionen. Das ist unheimlich viel, was da vor sich geht, aber meistens versuche ich das alles zu vergessen wenn ich male. Nur später, wenn ich das Bild analysiere, wird das wieder wichtig. SM: Was bedeutet für Ihre Malerei das Begriffspaar Ordnung/Chaos? IF: Wir brauchen eine bestimmte Ordnung, Begriffe, Kategorien um uns in der Welt zurechtzufinden. Ohne Ordnung sind wir verloren. Aber wir müssen sie immer wieder verlassen, sonst kommen wir nicht weiter. Wenn ich daran denke, dass wir früher glaubten, die Erde sei eine Scheibe und die Sonne dreht sich um sie herum – heute eine absurde Vorstellung, aber damals völlig normal. In der Malerei muss ich auch immer wieder Ordnungen verlassen, sonst entwickelt sich nichts, keine Überraschung, keine neue Entdeckung. Das zieht sich durch alle Bereiche. Auch unser Sehen ist sehr bruchstückhaft und unklar – so glasklar und deutlich wie Dürer die Welt dargestellt hat, sieht kein Mensch. Auch die Linie ist ein Weg, Ordnung in die sichtbare Welt zu bringen. Wenn dann Cézanne kommt und sagt, es gebe keine Linie, sondern nur Kanten, dann eröffnet das wieder eine völlig neue Sichtweise und neue Wege für die Malerei. SM: Wie kann ein Bild überall unterschiedlich sein und trotzdem Harmonie ergeben? IF: Durch den einheitlichen Raum. Dadurch, dass alle Elemente sich in ihrem Vor- und Zurücktreten in Balance halten, dass jeder Teil räumlich gesehen gleich wichtig ist. Das ist ein malerischer Raum im Vergleich zum grafischen, wo ein Element dem anderen untergeordnet ist und ich das Bild in Bruchstücken lese, wie ich einen Text ablesen würde. Im malerischen Raum hat jedes Element die gleiche Bedeutung für das Ganze, ich kann es nicht herausnehmen oder weglassen. Also eine sehr demokratische Sichtweise, wenn Sie so wollen. SM: Wird das, was man sieht, durch das Denken beeinflusst? IF: Auf alle Fälle. Wir kommen durch unsere Ausbildung immer über das Lesen und nicht das Sehen und unmittelbare Erfahrungen zu unserem Verständnis von der Welt. Konrad Fiedler, ein bedeutender Kunsthistoriker des 19. Jahrhunderts, hat darüber geschrieben, dass die Stärke der Malerei darin liegt, die Natur in verwandelter Form, und zwar durch die künstlerische Tätigkeit, durch das stoffliche der Malerei, völlig neu zu gestalten. Er forderte, dass wir üben sollten, wieder frei vom Denken zu sehen, also ohne immer gleich zu beurteilen. Und auch frei von zu viel Emotion und Sentimentalität. Die Kunst sollte nicht einzelne Geschichten erzählen oder der Wissenschaft dienen, sondern sich auf ihre und nur ihre eigene Stärke berufen. Damit der Mensch wieder andere, vor allem auch sinnliche Erfahrungen machen kann. Ich finde, das wäre heute bitter nötig, wo Kinder nicht mehr wissen, wo Erdbeeren herkommen, geschweige denn wie eine gute Erdbeere schmeckt. SM: Ihre Malerei erinnert mich auch ein bisschen an Rhythmus: Hören Sie beim Malen Musik? Wird Ihre Malerei davon beeinflusst? IF: Nein, normalerweise nicht. Allerdings kann es schon einmal schwer sein, mich in die richtige Verfassung zu bringen, um zu arbeiten, wenn ich vielleicht mit meinem Fahrrad durch die ganze Stadt geradelt bin und sehr viel Stress habe. Oder viel nachdenke über den Zustand der Welt. Da hilft manchmal die Musik. SM: Was ist für Sie ein gutes Bild? Welche Merkmale gehören dazu? IF: Klarheit, Präsenz im Raum, Tiefe. Es muss auf einen Blick funktionieren aber auch auf lange Zeit wirken und nicht langweilig werden. Die räumliche Tiefe und die Bildoberfläche müssen miteinander in Verbindung stehen. Dass es ein lebendiges Ganzes bildet, in dem die Farben immer wieder neue Verbindungen miteinander eingehen, also dynamisch sind und alle gleich wichtig für das Bildganze. Das gilt für gegenständliche- und ungegenständliche Malerei und ist wunderbar bei den späten Bildern Tizians zu sehen. Format: SM: Frau Floss, inwiefern bestimmt eigentlich das Bildformat die Farbe oder die Komposition? IF: Ein Hochformat bezieht sich auf den menschlichen Körper oder auf Architektur, ein Querformat auf Landschaft und ein Quadrat ist neutral. Wenn das Bildformat aus der rechteckigen Form herausgeht und offen ist, öffnet sich das Bild auch zur Wand und zur Architektur des Raumes. Wenn es innerhalb der rechteckigen Form bleibt, dann kann es sich auch zum Raum hin öffnen. Es bleibt aber gleichzeitig eine Welt für sich, die davon getrennt ist, wie das bei meinen Arbeiten der Fall ist. Trägermaterial: SM: Gibt es eine Abhängigkeit zwischen dem Trägermaterial – also in Ihrem Fall Leinwand oder Nessel – und dem Farbklang? IF: Ja, und die ist sehr wichtig. Die Farbe des Untergrunds wirkt auf den Farbklang des Bildes ein und bestimmt ihn in gewisser Weise auch. Wenn ich einen dunklen Untergrund nehme, leuchten helle Farben viel mehr. Sie werden deutlicher, wirken kräftiger. Wohingegen sie bei einem hellen Untergrund mehr zurückgehen und mit dem Untergrund verschmelzen. Wenn ich einen neutralen Untergrund nehme, ein grau oder weiß oder die Farbe des jeweiligen Stoffes, kann ich den Bildraum von innen nach außen aufbauen, sodass Licht einfällt, wie das bei den späten Bildern von Cézanne oder bei Constable zu sehen ist. Angeregt von der Maltechnik el Grecos habe ich vor einiger Zeit meine Bilder mit rotem Ocker grundiert. Das hat dann den umgekehrten Eindruck erweckt, nämlich dass das Licht aus dem Bild heraus strahlt, weil der rote Ocker immer mitwirkt und spürbar bleibt, auch wenn er fast verschwunden ist. Das ist vergleichbar mit Bildern von Turner oder Rothko. Beide haben meines Wissens zwar keinen roten Ocker als Hintergrund verwendet, aber es entsteht dieser Eindruck eines Lichts, dass von innen nach außen leuchtet. Titel: SM: Nun eine sehr spannende Frage: Wie sind Sie zum Titel dieses Bildes gekommen? Bei unserer ersten Besichtigung hieß es „o.T“, später kam die Ergänzung „Himmelrundfahrt“ hinzu. IF: Ich selbst brauche für mich keine Titel, aber ich weiß dass sie für die Betrachter manchmal den Zugang erleichtern. Allerdings möchte ich keine Titel, die das Denken in eine bestimmte assoziative Richtung lenken. Wenn ich also einen Titel finde, der die Neugier weckt ohne den Blick einzuengen, dann finde ich ihn gelungen. Wie gesagt, das Sehen soll möglichst frei sein können und bei einer „Himmelrundfahrt“ kann man sich vorstellen, dass ich den Blick durch das Bild lenke: von Unten nach Oben, von der Oberfläche in die Tiefe und wieder an die Oberfläche zurück. Der Betrachter wird mitgenommen auf eine Reise durch den Bildraum, damit er aus seiner eigenen Haut heraus kommt, eintauchen in eine neue Weltsicht, und gestärkt und reflektiert, aber durch das Sehen und nicht so sehr durch das Denken, wieder zu sich selbst zurückkommt. Entstehungszeit: SM: 2009 bis 2011: Wie lässt es sich erklären, dass die Entstehungszeit dieses Bildes – der „Himmelrundfahrt“ – eine Zeitspanne von zwei Jahren benötigt hat? IF: Gut Ding will Weile haben. Manche Bilder brauchen eben eine lange Zeit. Ich muss während des Malprozesses das Bild immer wieder zur Seite stellen, mal ein bis zwei Wochen, mal auch länger, nicht hinsehen, es am besten vergessen, damit ich genug Abstand gewinne, um einen frischen Blick darauf zu bekommen. Abschlussfrage: SM: Nun komme ich zu meiner letzten Frage, gleichwohl auch die Schwierigste: Wann ist für Sie ein Bild fertig? IF: Wenn alles zusammenkommt und nichts abfällt. Wenn nichts mehr überflüssig ist und wenn es präsent ist im echten Raum, in dem es sich befindet und gleichzeitig räumliche Tiefe entstanden ist. Es steht dann an zwei Orten gleichzeitig und die Farbe lenkt den Blick hin und her zwischen beiden – der Oberfläche und der Tiefe. |