Ingrid Floss: Stillstand ist kein Zustand

Achtung! Flink schiebt sich eine schwarze, struppige Fläche vor das Auge, das gerade genussvoll einem blasigen Fluss am linken Bildrand gefolgt ist: Sieh mich an! Kaum verliert sich der Blick in ihrem körnigen Schwarz, zapft ein grellweißer Ausschnitt von oben die Aufmerksamkeit an. So kalt strahlt dieses Weiß, dass es ratsam scheint, auf einen lose schraffierten schmalen Fluchtweg nach unten auszuweichen und sich auf einer sacht gekurvten Linie an den rechten Bildrand zu einer Frottagezu tasten. Bevor der Blick die kordelartigen Musterschichten entwirrt hat, muss er weiterschweifen: Die Flächen auf Ingrid Floss’ Lithographie „Farbiges Schwarzweiß“ scheinen sich anders geordnet zu haben ... Sieh uns erneut an!

Stillstand ist auch den farbigen Lithographien von Ingrid Floss fremd. In ihnen setzt die Malerin die Bildfläche zunächst durch expressive Striche und Kreise in Bewegung. Darüber legt sie durchsichtige oder opake Flächen, die starke Gegensätze zueinander bilden: Vorder- und Hintergrund beginnen zu schwimmen, harte Kanten richten sich gegen weiche, ausfasernde Umrisse zerschneiden fest definierte. Dabei ist alles erlaubt, was Bewegung auslöst und aufrecht hält: „Wenn die Form zu fest ist, ist die Geschichte zu fest!“, so Floss. Ihr Ziel? „Eine Harmonie, die nicht zur Gemütlichkeit wird!“

Während sie beim Malen additiv arbeitet, subtrahiert Ingrid Floss bei der Collage, die zum Siebdruck werden soll: Take away! Mehr und mehr reißt sie von den farbigen Flächen, schneidet hier, kürzt da, verschiebt dort – bis das expressive Element in der Mitte das gleiche Gewicht hat wie der starke Hintergrund-Kontrast, den es sowohl aushalten als auch aufbrechen muss. Schmale Risskanten, minutiös zwischen unregelmäßige Flächen und knalligen Grund gedruckt, halten das Ganze zusammen und in der Schwebe, so dass die Gegensätze miteinander ins Schwingen kommen können.

„Entschuldigung, würden Sie bitte noch die Klebstreifen entfernen?“ Nein: Die aufgedruckten Streifen sind einerseits Beleg des Entstehungsprozesses, andererseits optisches Mittel, um die im Siebdruck sehr hart gezogenen Kanten mit dem Papierweiß zu vermählen und, last not least, ein humorvolles Augenzwinkern der Künstlerin, die ein Lachen beim Ringen um die optische Balance zu schätzen weiß.